Inhaltsverzeichnis
VORGESTERN
- Ein schwieriger Anfang
- Die Reise zum Mandschu Kaiser
- Missionare in China
- Die Pioniere des China Handels
- Geldhäuser unterstützen den Handel
- Das deutsche Protektorat in der Provinz Schantung
- Der Boxeraufstand
- Chancen und Risiken im ständigen Wechsel
- Zwei Weltkriege und die wirtschaftlichen Folgen
- China und Chinesen in Europa
- Geschichten und andere Ereignisse zu dieser Zeit
GESTERN
Ein geschlossenes, ein armes Land
- Schwieriger Abschied
Auf Stillstand folgt Öffnung
- 1971 – Hong Kong here I come!
- Leben in der Kronkolonie Hong Kong
- Geschichten und andere Ereignisse zu dieser Zeit
- Die Türöffner aus dem Westen
- Drei Länder zeigen ihre Produktvielfalt
- Eine Novität: Wuhan kauft ein Walzwerk
- Bayerisches Bier, aber gebraut in Wuhan
- Mein dritter Job: Finanzchef
- Carrian räumt ab
Die erste Wirtschafts-Rakete wird gezündet
- Dialog mit Zeitzeugen
- Der Schritt in die Selbständigkeit
- China öffnet sich, aber langsam
- Die China Watcher als Wissensvermittler
- Die ersten Joint Ventures
- »Wenn ich der Chef wäre« – Rentner Gerich in Wuhan
- German Business Association Hong Kong
- Der Ausflug nach Vietnam
- Geschichten und andere Ereignisse zu dieser Zeit
Der große Durchbruch
- Hong Kongs Blütezeit
- Banken entdecken China
- Delegationsreisen öffnen Türen in China
- Ein Bahnbrecher: German Centre in Shanghai
- Moutai für alle – Nur Trinkfeste machen Geschäfte
- Klienten suchen Chinaexperten
- Ein logischer Schritt: Büros in China
- 1997 – Die Rückgabe Hong Kongs
- Erst gemeinsames Bett, dann getrenntes Bett
- Die EU Umfrage in China erregt Aufsehen
- SES statt SOS
- Das China-Consulting Geschäft wächst
- Drache und Elefant – China und Indien
- Zu Besuch im Maschinenraum
- Ein wesentlicher Durchbruch – WTO Mitgliedschaft
- Geschichten und andere Ereignisse zu dieser Zeit
HEUTE
- Die perfekte Diktatur
- Das wirtschaftliche Umfeld
- Die Vielfalt chinesischer Unternehmen
- Deutschlandbild in China. Chinabild in Deutschland
- Chinesischer Lebensstil
- Andere Länder, andere Sitten oder Lost in Translation
BAT startet die zweite Wirtschafts-Rakete
- Baidu, Alibaba und Tencent
- Erfolge und Herausforderungen im ständigen Wechsel
- Handel und Wandel
- Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Praxis
- Auf dem Gipfel der Erfolgreichen und im Tal der Enttäuschten
- Die Brennpunkte heute und morgen
- Wir erleben einen Paradigmenwechsel
- Wer kann ohne »Made in China« leben?
- Fünf Fragen an …
- Wagen und gewinnen – Selbständig in China
- Berufliche Retroperspektiven
Die dritte Wirtschafts-Rakete wird gezündet
- Das Mammutprojekt Gürtel und Straße
- China 2025 – Chance oder Gefahr?
- M & A im Ausland
- Das nationale Selbstbewusstsein steigt
PERSPEKTIVEN FÜR MORGEN
Schlusswort
Anmerkungen
Bibliographie und Leseempfehlungen
Personen- und Firmenregister
Glossar
Dank
Der Autor
VORWORT
Als ich im Januar 1971 einen Job in Hong Kong[1] annahm und damit ins China Geschäft einstieg, war ungewiss, ob sich dieser Schritt lohnen würde. Zu diesem Zeitpunkt war Chinas politische Zukunft unsicher und das Handelsvolumen mit China war schwach. Beispielsweise betrug Chinas Außenhandel mit der Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland in 1971 gerade 272 Mio. US$ im Export Chinas und 323 Mio. im Import Chinas.
Zu dem Zeitpunkt verkaufte keine westdeutsche Firma Autos nach China, keine österreichische Firma exportierte Maschinen oder Mozartkugeln nach China und auch der Export von Schweizer Uhren nach China war nicht existent. Auf der anderen Seite, so erinnere ich mich, exportierte China damals beispielsweise Textilien, Schweinedärme (für die Wurstproduktion) und einfaches Holzspielzeug nach Europa.
Heute, in 2017, verkauft allein Audi ein Drittel seiner Autos in China. Und China ist die Nummer 2 in der Exportweltmeister Rangliste.
Wie erklärt sich diese rasante Veränderung? Sind wir heute abhängig von China oder ist China weiterhin abhängig von uns? Und, was war der Ursprung des Geschäftes mit China?
Ich möchte mit dem Buch diese Fragen mittels Spurensuche beantworten, Phänomene aufzeigen und helfen die Entwicklungen und Hintergründe zu verstehen.
Um das Buch übersichtlich zu halten, habe ich es in vier Kapitel aufgeteilt. Die ersten drei Kapitel folgen einem chronologischen Ablauf. Sie enthalten jeweils Themenfelder zur geschichtlichen Entwicklung, Exkurse zu einzelnen Themen und Zeittafeln. Und sie enthalten interessante Ereignisse und persönliche Erlebnisse.
Im Fokus des Buches steht die wirtschaftliche Beziehung Chinas zur D.A.CH Region[2]. Warum habe ich die unter diesem Begriff zusammengefassten Länder, die ausschließlich bzw. im Fall der Schweiz mehrheitlich deutsch sprechen, gewählt? Zum einen, weil ihre geschichtliche Entwicklung für diese Betrachtung mit einander verknüpft ist und zum anderen, weil meine berufliche Tätigkeit seit 1971 stark mit diesen Ländern verbunden ist.
Dies ist kein wissenschaftliches Werk, sondern die subjektive Darstellung einer Entwicklung. Deshalb habe ich auch auf Literaturhinweise im Text verzichtet. Für Zitate gibt es jeweils Quellenangaben im Text. Das Buch ist ins besonders geprägt von persönlichen Erlebnissen von Personen aus der D.A.CH Region und meinen Erlebnissen und meiner Analyse und Meinung. Somit spiegelt es wohl ein subjektives Bild wieder, für das ich die Verantwortung trage.
Anfang der 80iger Jahre wurde mir bewusst, dass ich Zeitzeuge einer großen historischen Veränderungen bin. Aber ich vermisste die Gelegenheit ein Tagebuch zu führen. Dies begründe ich mit Zeitmangel, bedingt durch die täglichen Herausforderungen: Leitung eines Unternehmens, viele Geschäftsreisen und Zeit fürs Familienleben (zu diesem Zeitpunkt hatten wir drei junge Kinder). Aber die Eindrücke, die Bilder und der Duft der Zeit haben sich auch ohne Tagebuch stark eingeprägt. Auch heute noch haften mir Entwicklungen und Erfahrungen im Gedächtnis. Man erinnert sich an bestimmte Situationen und wie man reagiert hat. Man erinnert sich auch an die persönliche Entwicklung einzelner oder an prägnante Aussagen. Beim kramen in der Gedächtniskiste war meine Frau eine wichtige Hilfe, auch weil ihr Namens- und Datengedächtnis besser ist.
Es heißt, dass der Anfang und das Ende eines Buches harte Arbeit sind und der Rest ist dann reines Vergnügen. Naja, dem stimme ich teilweise zu. Die positiven Seiten des Schreibens sind definitiv die Recherche, die eigenen Erinnerungen und die Gespräche mit Wegbegleitern. Für die Zeit vor 1971 hätte ich die Recherche nicht bewältigen können und ich habe deshalb für einzelne Bereiche Hilfe hinzugezogen. Dafür und den qualitativen Input bin ich den Helfern dankbar.
Einen Ghostwriter hatte ich für dieses Buch nicht, der Text stammt aus meiner Feder. Und damit liegt auch die Verantwortung für den Inhalt bei mir. Im Schreibstil bin ich wohl von meinem Vater beeinflusst worden; er war vor dem 2.Weltkrieg Journalist in Berlin.
Im Mittelpunkt des Buches steht mein privates und berufliches Leben in China, das mit der Ankunft in Hongkong am 6. Januar 1971 begann – und ich lebe heute nach 46 Jahren noch hier. Die Erlebnisse und Geschichten beginnen im Süden Chinas und sie enden auch dort.
Viele schreiben über ihre Erlebnisse und Erfahrungen und die sind oft interessant, manchmal auch spannend oder lehrreich. Ich habe mir aber gedacht, dass es vielleicht für den Leser etwas »fad« sein könnte, wenn ich nur über mich und meine Erlebnisse und Erfahrungen schreibe. Um also das Bild abzurunden, habe ich auch Freunde, Bekannte und Geschäftsfreunde, die ich seit 1971 kennen gelernt habe, nach ihren Erlebnissen befragt. Hierbei habe ich bewusst den Gesprächskreis eingegrenzt auf Personen aus der D.A.CH Region, die in China & Hongkong gelebt haben bzw. dort jetzt noch leben.
Neben diesen formellen Interviews fließt hier der Gedankenaustausch mit Geschäftsleuten mit ein. Im Dialog haben wir ihre Erfahrungen diskutiert und auch offen über die Ergebnisse der individuellen Geschäftspolitik gesprochen. Da zu diesen Gesprächspartnern auch Klienten gehören, ist es dem Leser sicher verständlich, dass ich die Namen nicht nenne.
Einen besonderen Stellenwert im Buch haben Gespräche mit Unternehmern, die es in dem oft schwierigen Umfeld gewagt haben, sich selbstständig zu machen. Diese Gespräche und Beiträge sind jeweils entsprechend gekennzeichnet.
Tektonische Verschiebungen
Enorm viel ist in meinem Lebensabschnitt hier in China passiert – beginnend mit einem geschlossenen Land, übergehend in ein unruhiges Land hin zur wirtschaftlichen Öffnung und schließlich zum heutigen pulsierenden China. In diesem Zeitraum hat es in dem größten Land der Welt wohl auch die größte wirtschaftliche Revolution gegeben. Ich konnte diese rasante Entwicklung miterleben, quasi in der ersten Reihe sitzend.
In der sich ewig wandelnden Welt der Wirtschaft kommt Chinas Entwicklung seit 1979 einer tektonischen Verschiebung gleich.
Kommen Sie mit auf Spurensuche und erleben Sie das Kaleidoskop von Bildern aus dieser spannenden Zeit.
„Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.”[3]
Diese Aussage unterschreibe ich gern, denn gerade im Chinageschäft ist die Entwicklung in der Vergangenheit wichtig um die heutige Situation zu verstehen.
Diesem Grundsatz folgend und um die Wirtschaftsgeschichte der D.A.CH Region mit China seit Anbeginn zu verstehen, habe ich als Ausgangspunkt für meine Spurensuche den Ursprung der Handelsbeziehung gewählt. Und der ist laut Geschichtsforschung das Jahr 1713.
Im Kontext des Buches prägten folgende Meilensteine aus unserer Sicht die Jahrhunderte:
- Jahrhundert: China lehnt den internationalen Handel ab, Großbritannien erzwingt Zugang, Schweizer Uhren in Peking, Modewelle Chinoiserie (Tee, Porzellan).
- Jahrhundert: Großbritannien beherrscht das China Geschäft, Opiumhandel, Habsburg und Preußen träumen von Handelsmacht, aber Erfolge sind nicht von Dauer. Kolonie Tsingtau (Qingdao)
- Jahrhundert: Zwei Weltkriege bringen bittere Konsequenzen. VR China: geschlossenes und armes Land; unruhiges Land; wirtschaftliche Öffnung und schließlich pulsierendes China
- Jahrhundert: China entwickelt sich zu einer Welt Wirtschaftsmacht
Um im Buch den Zeitraum von fast 300 Jahren darzustellen, braucht es einen roten Faden. Und der ist für dieses Buch die Aufteilung der drei Kapitel in
- VORGESTERN – 1713 bis 1949
- GESTERN – 1949 bis 2012
- HEUTE – 2012 bis jetzt
Das Kapitel VORGESTERN beschreibt die Periode der ersten und echten Pioniere des China-Geschäftes. Die von ihnen betriebene »Öffnung« Chinas war ein spannendes Unterfangen. Zu dieser Zeit gab es in Europa nur wenige Länder, die einen Tatendrang Richtung Asien hatten und zeitgleich hatte man ich China kaum Interesse an der westlichen Welt und das galt auch für Europa. Zu dem Zeitpunkt hatte Peking zwar Kenntnisse über Großbritannien und die Niederlande; aber Preußen war ihnen unbekannt.
Meine Darstellungen in dem Kapitel Vorgestern stammen aus Recherchematerial – unter anderem aus der Commerzbibliothek in Hamburg (die älteste Wirtschaftsbibliothek der Welt), der Staatsbibliothek zu Berlin, Universitätsbibliotheken in Wien und Zürich, der British Library in London, dem großen Buchschatz von Tess Johnston in Shanghai, der Firmenchronik von Jebsen & Co. und dem Siemssen Familienarchiv.
Auch war es mir noch möglich, Gespräche zu führen mit Zeitzeugen, die vor 1949 in China gelebt haben. Deren Geschichten und deren Erlebnisse werfen ein Licht auf die damalige Zeit.
Das Kapitel GESTERN beschreibt die Zeit des geschlossenen Chinas. Diese Periode begann mit der Gründung der VR China in 1949 und endete mit der schrittweisen Öffnung des Landes Ende siebziger Jahre. Zeitzeugen berichten hier von ihrem Leben in China und Hong Kong. Der Kernpunkt dieses Kapitels ist die Entwicklung des China Geschäftes seit 1971, meiner Ankunft in Hong Kong. Neben meinen Beobachtungen und Erfahrungswerte kommen die von Dritten gebührend zur Geltung. Im Lichte der heutigen wirtschaftlichen Erfolge in China ist es leicht zu vergessen, wie schwierig das China Geschäft in den siebziger und achtziger Jahren war. Und wie viel Energie und Geduld es seitens der Regierungen, Verbände und Firmen aus der D.A.CH Region bedurfte, um erste Grundsteine für spätere Geschäftserfolge zu legen.
Es war wohl von Vorteil, dass meine Neugier nie versiegt ist, weshalb ich auch fortwährend lese: Zeitungen, Bücher, alles. Und ich habe jede Gelegenheit für ein Gespräch genutzt. Im Besonderen waren die Reisen innerhalb Chinas immer bereichernd gewesen; auch wenn sie in den ersten Jahren oft beschwerlich waren.
Ich bin mir bewusst, dass dieses Buch auch Lücken aufzeigt, dass Themen und Ereignisse in den dargestellten Zeiträumen nicht enthalten sind. Aber bei dem Versuch die wirtschaftliche Entwicklung zwischen China und der D.A.CH Region über 300 Jahre hinweg in einem Buch darzustellen, musste ich Kompromisse eingehen.
Bücher, nichts als Bücher
Gibt man bei amazon.de das Stichwort China ein, dann werden unter der Rubrik Politik & Geschichte 3.250 Bücher angezeigt und unter China Wirtschaft sind 2.187 Bücher gelistet. Und hinzu kommen die unzähligen Romane, Reise- und Kochbücher. Neben den Büchern in deutscher Sprache kommen noch viele hinzu, die nur auf Englisch erschienen sind. Es gibt also ausreichend Lesestoff, um sich einzulesen. Das ist die Situation heute.
Als ich mich 1970 auf meinen Job in Hong Kong vorbereitete, war die Situation völlig anders. Denn damals war Informationsmaterial über China sehr knapp; es sei denn man las die staatliche Propaganda Zeitschrift ‚China im Aufbau. Ich bitte den Leser sich zurück zu versetzen in die damalige Zeit, die Zeit des Kalten Krieges. Noch bis 1969 bestand das internationale Handelsembargo gegen China, dies war das Hauptinstrument der USA das Land zu destabilisieren. Und die CoCom Liste reglementierte den Export strategisch bedeutsamer Technologien und Güter.
Als ich 1970 bei der BASF in Ludwigshafen für meinen Job in Hong Kong eingearbeitet wurde, traf ich dort niemanden der schon mal in China gewesen war.
Die einzige aktuelle Quelle, die ich finden konnte, war das 1965 erschienene Buch »Das Reich der 700 Millionen«, Autor FAZ Korrespondenten Harry Hamm. Er durfte bereits Anfang der 60iger Jahre China besuchen und hatte Zugang zu vielen Informationsquellen. Das Buch enthält ausführliche Reiseeindrücke und laut Der Spiegel »machten die Analysen der chinesischen Politik Hamm zu einem angesehenen Kenner des Weltkommunismus«.
Neben dieser primär politisch-orientierten Einzelquelle suchte ich aber Wegweiser und Ratgeber über das Geschäft mit China. Glücklicherweise fand ich bei Ankunft in Hong Kong eine Primärquellen vor, nämlich die Old China Hands, also jene mit Kenntnissen der Sprache, Kultur und vor allem Geschäftserfahrungen in China. Dies waren Arbeitskollegen bei Jebsen, von denen einige schon vor 1949 in China gearbeitet hatten. Auch Dr. Theophile, der lange in China gelebt hatte, war eine gute Quelle. Es galt also zu fragen und zu hinterfragen, um Entwicklungen und Zusammenhänge zu verstehen. Und es gab in Hong Kong eine große Zahl von China Watcher, (abgeleitet von dem englischen Wort bird watching) meist Spione, die in den Auslandskonsulaten ‚versteckt‘ waren. Die Vielzahl von ausländischen Journalisten, die von Hong Kong aus die Entwicklung in China beobachteten, war auch eine gute Informationsquelle.
Zentraler Punkt in diesem Kapitel sind die kleinen Geschichten, die in die große Geschichte eingebettet sind, nämlich die spannenden Jahre der wirtschaftlichen Öffnung. Diese Zeit war für D.A.CH Firmen geprägt von Versuchen, Misserfolgen und Erfolgen.
Das Kapitel HEUTE ist ein Blick in den Zeitraum des anhaltenden Wachstums und der Entdeckung des Internets als Plattform für das wirtschaftliche Handeln im B2C und B2B Geschäftsbereich. Beeindruckend ist, dass China in diesen und dem FinTech Bereich schneller Fortschritte gemacht hat als manches europäische Land.
Gegenwärtig erleben wir mehrere Paradigmenwechsel:
In 2016 stieg Chinas Investment in Europa um 77 % während das EU Investment in China um 25 % fiel. Die Zahlen sprechen für sich.
Jack Ma, Chef des Technologiekonzerns Alibaba sagte im September 2017, dass Wirtschaftswachstum in Zukunft weniger beim produzierenden Gewerbe entstehen würde, dies sei nur noch eingeschränkt ein Job-Motor. Stattdessen sind in Zukunft die rasante Entwicklung neuer Technologien wie Roboter und künstlichen Intelligenz sowie das Internet allgemein die wichtigsten Wachstumstreiber. Wird er Recht haben? Wird diese exponentielle Technologieentwicklung in China wirklich Realität, dann kommen aufregende Zeiten auf uns zu! Andererseits haben wir mit einer starken Industriestruktur und –Geschichte gute Voraussetzungen den Wandel zur digitalen Welt, also zu Industrie 4.0, zu schaffen.
Zurück zu China: In der Vergangenheit war Chinas industrieller Erfolg als OEM Hersteller für Adidas, Apple usw. basierend auf Preis, Quantität und Liefergeschwindigkeit. Andere produzierten gut-genug‘ Produkte oder vermarkteten nachgeahmte oder gefälschte Produkte als Innovation.
Aktuelle Ereignisse, die zwar direkt nichts miteinander zu tun haben, zeigen in der Gesamtbetrachtung neue Trends in China auf.
China hat eine neue Unternehmer Generation und diese Welle erleben wir vor allem im Internet Bereich: innovativ; hat Unternehmergeist, ist risikofreudig; hat eine experimentelle Einstellung, die die time-to-market Zeit verkürzt; wartet nicht bis das Produkt marktreif ist, sondern testet den Markt und adoptiert, falls notwendig. Das Schlagwort hierfür ist ‘China speed‘. Demgegenüber ist die Kultur bei den D.A.CH Firmen anders, man denkt in längeren Zyklen, man braucht mehr Zeit um ein Produkt zu entwickeln. Aber man hat damit auch viele Erfolge erzielt.
Wir sollten auch mit wagemutigen Entrepreneurs im industriellen Bereich rechnen: Studium im Ausland, Fachwissen und bewährte Verfahren aufgesaugt bei europäischen Industriefirmen in China. Und jetzt wird diese Erfahrung in der Selbstständigkeit verknüpft mit der neuen digitalen Kraft Chinas.
Die ZhongAn Online Property and Casualty Insurance wurde 2013 gegründet und verkauft – wie der Name schon sagt – ausschließlich über das Internet. Heute in 2017 sind sie ein Gigant und berichteten für 2016 den Verkauf von 620 Millionen Policen. Der Grund für diesen Erfolg sind die Gesellschafter: Alibaba und Tencent (an sich Konkurrenten), denn sie haben Zugang zu Unmengen von digitalen Daten ihrer Kunden und bieten auf dieser Basis Einzelnen zugeschnittene Sachversicherungen an – z.B. die “Hitzewelle“ Versicherung (zahlt bei Temperaturen über 37 Grad) oder die Versicherung bei Flugverspätungen. Der dritte Partner ist die Versicherungsgruppe Ping An. Die Zusammenarbeit von diesen drei Giganten verbindet die Stärken zweier Interessengruppen, nämlich Kundendaten und Versicherungs-Knowhow.
Diese Internet basierte Konstellation hat auch noch einen anderen von der Regierung willkommenen Effekt: das Disruption Modell sorgt für die Modernisierung des Marktes, aber zu Lasten der SOEs, die sowieso nicht als Reform hungrig gelten.
Übrigens hatten Alibaba und Tencent ein rasantes Wachstum, weil China (wieder einmal) die Goldene Käfig Theorie anwendete, d.h. in einem beschränkten Umfeld wird die Erprobung neuer Technologien und Wirtschaftsmodelle gestattet. Erst wenn sie erfolgreich und gereift sind, dann kommen gesetzliche Regelungen.
Beginnend mit 1899 hat China Schienensysteme aus Deutschland importiert. Heute ist CRRC (China Railway Rolling Stock Corp.) der Weltmarktführer. Und wer hat CRRC groß gemacht? Siemens u.a. mit der Lizensierung ihrer Technologien. Im September 2017 entschieden die einstigen Erzfeinde Alstom (TGV) und Siemens (ICE) ihre Aktivitäten zusammenzulegen. Damit wollen sie dem nach Europa vordringenden Konkurrenten CRRC in Schach halten. Und die Deutsche Bahn hat begonnen komplette Zügen und Ersatzteilen in China zu kaufen. Diese Veränderungen haben aber auch ihre Logik. Denn China ist heute der Welt größte Markt für Schienenverkehr und damit gilt auch hier die Stückgrößendegression.
Die schiere Marktgröße und die Dynamik des Marktes resultiert in einer Neugewichtung: So entschied Siemens im September 2017 die globale Führung einschließlich F&E im Bereich autonome Robotik nach Peking zu verlegen. Der Konzern sieht also die digitale Zukunft in China.
Huawei, 1987 (!) gegründet, ist heute Chinas größter Telekommunikations Ausrüster und Nummer 1 auf der Welt für Netzwerke für Telekommunikation und Datenübertragung. Sie machen mehr Umsatz im Ausland als in China. Siemens, die für viele, viele Jahre in dieser Industrie tonangebend waren, hat sich weitgehend zurückgezogen.
Im 4. Kapitel PERSPEKTIVEN FÜR MORGEN werden die möglichen Entwicklungen im zukünftigen Wirtschaftsleben Chinas angesprochen. Hierzu ist das Meinungsbild sehr gemischt und dies spiegelt sich in den Veröffentlichungen von Fachleuten und vermeintlichen Experten wider. Entsprechend den persönlichen Neigungen und Vorurteilen reicht das Spektrum der Prognosen von positiv bis zu negativ. Man kann allerdings auch schon mal schief liegen, wie zum Beispiel das Buch ›The coming collapse of China‹, das 2001 (!) erschien.
Ich möchte zu Chinas wirtschaftlicher Entwicklung keine allgemeinen Prognosen abgeben, sondern stattdessen Trends aufzeigen, die für uns von Bedeutung sein werden.
Die Erfolge der europäischen Firmen seit 2000 sind kein guter Kompass für die Zukunft. Denn für lange Zeit hatten wir in China die Situation des Verkäufermarktes, das hat sich längst in einen Käufermarkt gewandelt. Für die kommenden Jahre ist zu erwarten, dass sich die Konkurrenzsituation verschärft. Die Frage ist auch, was sind die zukünftigen Markttreiber? Werden wir in Zukunft von den Entwicklungen im chinesischen Markt getrieben, z.B. Internet basierte Lösungen? Möglich ist das schon, denn die Geschwindigkeit der Veränderung ist schnell in China und diese bestimmen wir nicht (mehr).
China 2025 – Von Imitation zu Innovation
Ist ein sehr ehrgeiziges Programm mit dem Ziel, die Innovationskraft und Digitalisierung der heimischen Industrie wesentlich zu steigern. Ziel ist es auch mit dieser grundlegenden Reform bis 2049 zur führenden Industriemacht aufzusteigen. Das Jahr 2049 ist bewusst gewählt, es ist der 100. Geburtstag der VR China.
China 2025 umfasst die Industriebereiche Informations- und Kommunikationstechnologie, Robotik, Schienenfahrzeuge, Schiffsbau, Kfz mit alternativem Antrieb, autonomes Fahren, CNC-Maschinen, Luft- und Raumfahrt, Meerestechnik, Ausrüstungen zur Stromerzeugung, moderne Agrartechnologie, neue Materialien, Biopharmazeutika sowie Medizintechnik. Und diese Industriebereiche sind größtenteils deckungsgleich den Aktivitäten der erfolgreichen Industrieunternehmen aus der D.A.CH Region. Ein weiteres Ziel ist im Rahmen des Programms nationale „Champions”, als Marktführer zu kreieren.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass China 2025 die traditionellen Exportindustrien nicht einschließt. Dieser Fakt weist glaube ich darauf hin, dass die lohnintensiven Industrien, die auch wenig Automatisierungspotential haben, für China unwichtig werden.
Verantwortlich für den Plan ist das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) und dies gekoppelt mit der in vielen Teilen staatlich gelenkten Wirtschaft macht die Umsetzung der Ziel zu ernstzunehmenden Ambitionen. Wenn diese Ziele auch nur teilweise realisiert werden, könnte China zu einem ernstzunehmender Konkurrent für die D.A.CH Region werden. Denn die chinesischen Hersteller profitieren davon als ’local‘‘ zu gelten und auch kommt ihnen die Stückgrößendegression zugute.
Neben der Konkurrenzsituation wird es aber auch Optionen für Kooperation geben. Dies könnte im Team mit Firmen entlang der Wertschöpfungskette, mit Start-ups oder mit den chinesischen Unicorns sein. China ist dabei sich neu zu erfinden und hat im Internet Bereich bereits enorme Fortschritte gemacht. Hier ist also Kreativität angesagt. Wir sollten damit rechnen, dass China auf dem Weg von der Werkstatt der Welt zu einem High-Tech Zentrum auch Quantensprüngen machen wird. Damit wäre unsere Position im Markt herausgefordert. Die Alternativen sind zuschauen oder partizipieren.
Trotzdem, innovative Firmen aus der D.A.CH Region sind gut positioniert von der Neuausrichtung der chinesischen Industrie zu profitieren, weil sie moderne Technologien anbieten und im Markt wegen ihrer Qualität anerkannt sind. Und sie machen sich jetzt stark als Software-Schmiede für andere. Beispiel Trumpf mit Axoom.
In diesem Sinne: Weiterhin viel Erfolg in China!
Dieses Buch ist geschrieben für die »Old China Hands« und die »New China Hands«, also diejenigen die sich beruflich mit China beschäftigen. Und das Buch ist auch an Leser adressiert, die nicht im China Geschäft involviert sind. Denn wie sich China wirtschaftlich weiter entwickelt, hat direkt oder indirekt Einfluss auf uns alle.
Jürgen Kracht
[1] Großbritannien herrschte für 156 Jahre – also bis 1997 – über Hong Kong, aber für China blieb das Territorium immer Teil ihres Landes. Auf Basis dieser Feststellung ist auch für dieses Buch Hong Kong Teil von China, auch wenn es auf Grund der Historie ein anderes Wirtschafts- und Rechtssystem hat.
[2] Dieses Kunstwort bezeichnet den deutschsprachigen Wirtschaftsraum Deutschland, Österreich und Schweiz
[3] Bundestagsrede BK Helmut Kohl, 1. Juni 1995