Leseprobe
Aus Kapitel VORGESTERN: Ein schwieriger Anfang
Der 13. Juli 1718 hat Symbolkraft. Denn an diesem Tag legte erstmals ein Handelsschiff der Habsburg Monarchie im südchinesischen Hafen von Kanton an. Damit war das bisherige Monopol der anderen Europäer, vor allem der Briten und Holländer, gebrochen. Stolz schrieb der vorausgereiste jesuitische Pater Miller in seinem Bericht nach Wien: „Den 13. Juli 1718 ist zu Canton ein Schiff aus denen österreichisch- kayserlichen Niederlanden, der Printz Eugenius regierender Römisch-Kayserlicher Majestät Caroli VI mit zweyen Priester unserer Gesellschaft glücklich angelangt“. Auf gut Deutsch heißt dies, dass das Segelschiff namens Prinz Eugen unter dem Befehl von Kaiser Karl VI. am 13. Juli 1718 in Kanton angekommen war.
Somit war dies der Startschuss für das direkte Handelsgeschäft zwischen China und dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und der Habsburgermonarchie.
Aber die Ankunft der Prinz Eugen in Kanton wurde argwöhnisch beobachtet, denn Miller schrieb weiter, dass „etliche Europäer“ – vermutlich Engländer und Holländer – das Schiff „mit scheelen Augen“ ansahen. Denn sie hatten Sorge, dass dies der Beginn einer Handelsallianz zwischen Kaiser Karl VI und dem chinesischen Kaiser Kangxi (1661 – 1722) sein könne, die, so wurde gemunkelt, nicht nur China, sondern auch Indien einbeziehen sollte.
Damit war aus Sicht des Kaiserreiches für den angestrebten Handel die chinesische Flanke abgesichert. An den bald darauf aufkommenden Sturm auf der europäischen Flanke dachte zu dem Zeitpunkt wohl niemand.
Der Kapitän für diese Jungfernreise nach Kanton war der Ire Jacob Tobin. Er hatte ein Empfehlungsschreiben von Kaiser Karl VI dabei und dies war gleichzeitig auch ein Schutzbrief für die gesamte Mannschaft. Als Reaktion auf das Schreiben erließ Kaiser Kangxi ein Edikt, das allen Schiffen und Untertanen des Habsburger Kaiser Schutz gewährte.
Zu dem Zeitpunkt hatte die katholische Kirche viel Macht und Einfluss in Wien und sicher war eine weitere Motivation für diese Reise die Christianisierung Chinas, die auch bei Karl VI. Priorität genoss. Also waren in Absprache mit der Regierung die Jesuiten Miller und Slaviczek als jesuitische Avantgarde voraus gefahren. Nun muss man wissen, dass Kaiser Kangxi Jesuiten wohlgesonnen war, wie wir später noch am Beispiel des Schweizers Franz Ludwig Stadlin erfahren: er war ein gern gesehener Uhrmacher zu Hofe des Kaisers in Peking.
Zurück zur Geschichte: Welche Ware die Prinz Eugen und später auch die SS Empereur Charles mit nach Europa brachten, ist nicht überliefert. Aber die Landung der Segelschiffe in Europa war nicht einfach, sperrten doch die Holländer die Schelde und damit den Hafen Antwerpen. Die Flotte musste auf Ostende ausweichen.
Kaum gelandet, etablierte Kapitän Tobin auf kaiserlichen Befehl in Kanton auch eine Faktorei (“Imperial Factory”)und hisste hier auf fremden Territorium die Habsburger Flagge, dies in Nachbarschaft zu den bereits etablierten Compagnies aus dem Vereinigten Königreich, Holland, Schweden und Dänemark. Die Faktoreien waren im Prinzip Lagerhäuser, mit dem Zweck die Abwicklung der Handelsgeschäfte vor Ort zu erleichtern. Mehr dazu später.
Die Symbolkraft der SS Prinz Eugen muss gesehen werden im Lichte des Habsburger Wahlspruchs A.E.I.O.U. (Austriae est imperare orbi universo – es ist Österreich bestimmt, die Welt zu beherrschen). Besonders Kaiser Karl VI. war bestrebt die Monarchie Austriaca zu festigen und zu erweitern und dazu gehörte der damals in Mode gekommene Fernhandel. Und hiervon sollten auch seine belgischen Territorien profitieren. Einhergehend mit diesen Zielen war die Gründung eines kaiserlichen Handelshauses am Einfallstor nach China, also Kanton, eine logische Entwicklung.
Übrigens ist die Buchstabenfolge A.E.I.U. heute noch ein nationales Symbol für Österreich und ist das Wappen der weltältesten Militärakademie (1752) in Wien.
Aber das damalige Ansinnen des Kaisers war nicht so einfach zu erfüllen, denn Wien war weit weg vom Meer. Und somit fehlten Schiffe und Mannschaft und natürlich auch Erfahrung in der Seefahrt. Kein Wunder dann, das der Kapitän ein Ire war. Symbolisch für das Land ohne Meer ist ja auch heute noch das Kunstwort Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän, über das wir uns beim Quizz erfreuen.
Aus Kapitel GESTERN: Hong Kong here I come
6. Januar 1971: Für den Flug nach Hong Kong hatte ich einen Fensterplatz auf der rechten Seite gebucht. Ich war aber vorher gewarnt worden, dass dies nichts für Angsthasen sei. Nach einer angenehmen Flugreise über das tiefblaue südchinesische Meer beginnen wir einen stetigen Sinkflug und ich sehe eine Vielzahl von malerischen Inseln. Dann setzte der Pilot zu einem Sinkflug an und, oh weh, fliegen wir direkt auf ein riesiges rot-weißes Schachbrett an einer großen Felskette zu. Plötzlich macht das Flugzeug eine scharfe Rechtskurve und wir sinken gleichzeitig tiefer. Wir gleiten über Kowloon City direkt auf die Landebahn zu. Jetzt sehe ich unter uns eine Batterie von Mietskasernen, man blickt quasi in die Küchenfenster und fragt sich, was da wohl zum Abendessen gekocht wird. Fast streifen wir Fernsehantennen und die auf dem Dach zum trocknen hängende Wäsche. Momente später landen wir auf der ins Meer ragenden Landebahn in Kai Tak. Auf der rechten Seite sehe ich viele Schiffe im Hafen und im Hintergrund die Skyline von Insel Victoria, auf der linken Seite eine Bergkette. Kai Tak war berühmt für den Flugweg
Die Landung ist gelungen. Ein guter Anfang, denke ich und lehne mich zufrieden zurück.
Ja, für viele Jahre war die Landung in Hong Kong eine der dramatischsten und charismatischen der Welt. Deshalb brauchten alle Piloten en für Hong Kong eine Sondergenehmigung.
Trotz der Gefahren gab es keine Horror-Unfälle, aber schon mal Pannen. Einmal setzte eine CAAC Maschine aus Peking kommend zu spät auf und der Bremsweg reichte nicht aus. Resultat: Das Flugzeug rutschte ins Wasser, zum Glück gab es wenig Verletzte. Im Oktober 1983 hatte ein Lufthansa Cargo Jumbo auf dem Weg nach Frankfurt wegen unzureichender Ladungssicherung oder Motordefekt (ich weiß es nicht mehr) Probleme beim Abheben. Der Pilot schaffte es das Flugzeug kurz vor dem Ende der Startbahn durch eine scharfe Linksdrehung im Boden zum Stehen zu bringen. Keine Verletzten, aber als erstes wurde die Lufthansa Kraniche übermalt. Denn die Fotos gingen um die ganze Welt.
In der Ankunftshalle fielen mir Schulkinder auf. Später wurde ich aufgeklärt, dass sie hier sind, um in gut klimatisiertem Umfeld ihre Hausaufgaben zu machen. Denn die Wohnung der Eltern war überfüllt und eine Klimaanlage gab es auch nicht. Chinesischer Pragmatismus.
Der Flughafen wurde 1998 geschlossen, aber es lohnt sich heute noch auf you tube die Landung aus dem Cockpit Blickwinkel zu sehen.
Viel Gepäck hatte ich nicht dabei, also nahm ich ein Taxi zum Star Ferry Terminal in Tsim Tsa Tsui und dann die Fähre zur Insel Victoria (einen Tunnel gab es damals noch nicht). Hier am Terminal wartete Hans Schlaikier, mein neuer Chef auf mich. Er brachte mich mit seinem Porsche direkt zu einer Jebsen Mess, so hießen auf Englisch die Wohnungen für Junggesellen. Hier warteten bereits etwa 20 Junggesellen der Firma Jebsen, um mich gebührend zu empfangen. Nach einigen Drinks ging es dann nach Wanchai, dem Stadtteil mit vielen Bars um mich ‘einzuführen‘. Jeder Junggeselle hatte ein Auto, meist einen VW Käfer, und so fuhr eine Kolonne mit viel Gehupe Richtung Wanchai. Ich saß im ersten Auto, der Fahrer war Bernd Paul von der Jebsen Lufthansa Abteilung. Plötzlich hielt Bernd an, öffnete die Haube vorne und rief erschrocken „We lost our engine“. Daraufhin gab es einen Auflauf von neugierigen Passanten, die sich für den ‘Unfall‘ interessierten. Ich sagte erstaunt zu meinen neuen Kollegen „aber der Motor ist doch hinten“, worauf mir beschieden wurde ruhig zu bleiben. Erst dann wurde mir klar, das dies ein Scherz war; typisch für Junggesellen mit Langeweile. Mit den Passanten wurde viel diskutiert und schließlich half eine größere Gruppe den Wagen durch Wanchai zu schieben – bis zu einer Bar. So begann die erste Nacht in Hong Kong …
Aus Kapitel HEUTE: Das wirtschaftliche Umfeld
Und die Geschichte wiederholt sich doch
Im Jahr 1793 leitete Earl Macartney eine große Handelsmission in das kaiserliche China. Der Forderungskatalog des Gesandten, versehen mit dem Siegel des britischen Königs Georg III., umfasste ehrgeizige Ziele und Forderungen: die weitreichende Verbesserung der Handelsbedingungen, eine ausgeglichene Handelsbilanz und die Öffnung mehrerer Küstenstädte für den maritimen Handel.
Es brauchte dann noch gut 50 Jahre, einige Angriffskriege, Invasionen und die Gründung von Kolonien, um China in die Knie zu zwingen. Danach blühte der Handel, aber zu Bedingungen die der Westen diktierte.
Und jetzt der Sprung zu Mai 2018, also 225 Jahre später.
Wieder reiste eine hochrangige Wirtschaftsdelegation nach Peking, dieses Mal aber aus den USA. Der Delegationsleiter, Finanzminister Steve Mnuchin, hatte vom US-Präsidenten den Auftrag mit China eine Reduzierung des bestehenden Handelsdefizits zu verhandeln. Und das um stolze US$ 200 Milliarden bis 2020. Man war nett zu einander; die Gespräche seien „pretty positive“ gewesen sagt die eine Seite und laut Wall Street Journal sagte die andere Seite, dass man die Forderungen als „unfair“ empfinde. Und das offizielle Sprachrohr, die People’s Daily, schrieb „… letztendlich werden Win-Win-Ergebnisse erzielt“. Nun wissen wir ja aus Erfahrung was Win-Win in China bedeuten kann. Auf jeden Fall endeten die Gespräche ohne Ergebnis. Das ist nicht das erste Mal und der Grund ist wohl die gegenwärtig harte Linie Chinas.
Wir müssen diesmal keine Kanonenpolitik wie im 19. Jahrhundert befürchten, aber es gibt doch viele Parallelen zwischen diesen zeitlich weit auseinanderliegenden Ereignissen. Was zum Beispiel kann man aus der damaligen Taktik Chinas lernen?
Die jetzigen Forderungen der USA sind richtig und sie werden von vielen in der Wirtschaft unterstützt. Aber sie sind fünf bis zehn zehn Jahre zu spät. Heute ist China wirtschaftlich stark und wir erleben ein zunehmendes Selbstbewusstsein. Die daraus resultierende Kluft der Gegensätze erinnert an Napoleons Aussage: „Wenn China sich erhebt, wird die Welt erzittern“.
Timing ist auch bei Wirtschaftsbeziehungen eben alles.
Chinas Wirtschaft läuft relativ gut und das Land ist heute weniger vom Export abhängig, eher ist die westliche Welt von Produkten aus China abhängig. Und zu den Wachstumsgaranten zählt auch die Inlandsnachfrage und die chinesische Binnenwirtschaft ist heute viel robuster als noch vor zehn Jahren. Diese Nachfragekraft bringt Stärke mit sich, denn viele Länder möchten am wachsenden Wohlstand Chinas partizipieren. Und dann ist da noch Chinas Spitzenstellung in der Entwicklung der heimischen digitalen Wirtschaft zu nennen.
Ob ein Handelskrieg hilft, die existierenden Probleme zu lösen, ist fraglich. Und was würden die US-Maßnahmen für die mit China integrierten globalen Lieferketten bedeuten z.B. für Konsumgüter wie IPhone?
Es hat den Anschein, dass hinter den Auseinandersetzungen mit Peking zumindest zum Teil die Angst der USA vor dem Verlust der technologischen Vorherrschaft steht. Aber China ist bereits heute deutlich weniger abhängig von der Technologie des Westens.
Damit hat 40 Jahre nach der wirtschaftlichen Öffnung ein neues Kapitel unseres Verhältnisses zu China begonnen.
Dies wird auch symbolisiert durch die großen Wirtschaftsprogramme wie China 2025 (Stärkung der heimischen Industrie auf Weltniveau), Künstliche Intelligenz (Weltführerschaft bis 2030) und Gürtel und Straße (Infrastruktur-Netz mit 64 Ländern in Asien und Europa). Mit der dahinterstehenden gelenkten Wirtschaftspolitik – also Staatswirtschaft – und deren enge Kooperation mit der Privatwirtschaft bringt das neue China auch große Herausforderungen für Europa mit sich.
Warum wir China anders sehen müssen
Staat und Privatwirtschaft sind eine gewinnbringende Symbiose
Für viele Europäer gilt dieses Bild: Chinas Wirtschaft ist zentral geplant und wird dominiert von einem mächtigen Staat. Das Arbeitsumfeld der Privatfirmen wird von einer autoritären Regierung geregelt, die wenig Freiraum gewährt.
Diese Betrachtung unterschätzt die in den letzten Jahren stattgefundenen Veränderungen und versperrt den Blick auf die gegenwärtige Situation.
Denn China entwickelt sich immer stärker zu einer von der Privatwirtschaft bestimmten Wirtschaft. Allerdings mit dem Staat als fördernde oder bremsende Kraft im Hintergrund. Diese Mischung ist ein Umfeld, das für innovative Unternehmen – vor allem im stark wachsenden E-Commerce Bereich – ideal ist. Natürlich gibt es noch die allmächtigen Staatsfirmen (SOE). Aber sie werden zunehmend von der Privatwirtschaft herausgefordert, besonders in den Bereichen Finanzen, Telekommunikation und im Gesundheitswesen. Das der Staat weiterhin die SOEs in der Rohstoffindustrie und im Verkehrswesen schützt, stört die Newcomer nicht, denn hier liegen nicht ihre Prioritäten.
Durch die Kombination von Top-Down Politik und Marktfreiheit entstanden eine Vielzahl von Unternehmen, die schnell wuchsen und auch jetzt weiter expandieren. Sie ermöglichte Unternehmen wie Xiaomi, dem Pionier des 50-Dollar-Smartphones, neue Konsumentenschichten zu entwickeln und hier mit innovativen Produkten zügig beträchtliche Absatzzahlen zu erzielen.
Geschäftspioniere wie Jack Ma von Alibaba, Pony Ma von Tencent, Zhang Ruimin von Haier und Robin Li von Baidu haben Ehrgeiz und unternehmerische Begabung. Sie verdienen viel Geld, unterstützen aber gleichzeitig Chinas Bestreben nach Wirtschaftswachstum und Machtzuwachs. Diese Unternehmer sind Akteure des wirtschaftlichen Wandels und einige sind einflussreich in Social Media und E-Commerce (Handel, Online bezahlen, medizinische Versorgung, Online Versicherungen usw.) – alles natürlich unter den wachsamen Augen der KP China. Denn wer erfolgreich sein und auch bleiben will, pflegt die Beziehungen zur regierenden Staatspartei.
Das kommerzielle Umfeld heute ist offener als gewöhnlich anerkannt und Bereichen der Wirtschaft -zum Beispiel E-Commerce – sind praktisch allein gelassen. In diesem Umfeld und vor allem dank der Marktgröße erreichten Newcomer schnell eine kritische Masse. Die Freiräume und die freigesetzten Kräfte haben Innovationen ermöglicht und damit wurde der Konsum gefördert und der Wohlstand im Land gestärkt. Auch waren und sind die Newcomer eine disruptive Kraft für die Staatsbetriebe. Wahrscheinlich war es sogar die Absicht des Staates, die notwendige Reformen durch externe Störfaktoren zu beschleunigen. Wie so oft in China, Pragmatismus pur.
Die positive Entwicklung der Newcomer wurde entscheidend gefördert durch die Vergoldete Käfig Philosophie, die da heißt ‚Fliege frei, aber nur im Käfig’. Sie ist eine Neuauflage des Wirtschaftskonzepts der 80iger Jahre, nämlich Freiraum für Veränderungen und Entwicklungen zu gewähren, aber mit Eingrenzungen. Und damit die Newcomer sich besser entwickeln konnten, wurde der Zugang zum Käfig, also dem Markt, für ausländische Firmen beschränkt oder sogar verwehrt. Beispiel Google.
Das schnelle Wachstum wurde aber auch erreicht durch aggressives Kopieren. Heute jedoch gibt es viele heimische Entwicklungen. Wie Poly Ma (Tencent) in einem Diskussionsbeitrag in Hongkong erklärte: „Zu Beginn brauchten wir ausländisches Knowhow und Technologie. Durch Kopieren haben wir gelernt und heute treiben wir die Fortentwicklungen selbst“.
Neben diesen bemerkenswerten Erfolgen im Land sorgten die Privatunternehmen im nächsten Schritt auch auf den Weltmärkten für Unruhe. So dominieren heute beispielsweise sowohl in Indien als auch in Afrika chinesische Anbieter den Smartphone Markt.
Ein weiteres Erfolgsbeispiel aus dem Bereich Finanzdienstleistung: Ping An Versicherung, Tencent und Alibaba gründeten 2013 gemeinsam die ZhongAn Versicherung, ein Sachversicherer der Policen nur online verkauft. Anlässlich des IPOs in Hongkong im September 2017 gab die Gesellschaft bekannt innerhalb von drei Jahren 5,8 Mrd. Policen an 460 Mio. Kunden verkauft zu haben, ein fast unvorstellbarer Verkaufsrekord für eine traditionelle Versicherungsgruppe. Allein am Singles Day 2017 verkauften sie an Online Shopping Kunden 100 Millionen Rückgaberechtspolicen. Kein Wunder, das der IPO von 1.5 Mrd. USD 400 mal(!) überzeichnet war. Die Erklärung für den Erfolg dieses Geschäftsmodells ist die starke digitale Vernetzung der Menschen und der Zugriff auf die bei Alibaba und Tencent gespeicherten Kundendaten, denn sie geben einen zu verlässlichen Einblick in die persönlichen Bedürfnisse der Masse. In Europa wäre dies aufgrund des Datenschutzes wohl nicht möglich.
Aus Kapitel HEUTE: Ein neuer Marschbefehl
Laut dem staatlichen Nachrichtendienst Xinhua News rief Präsident Xi Jingpin am 8. Dezember 2017 dazu auf “… fortgeschrittene Technologien in die Realwirtschaft einzubetten um damit das Wachstum zu fördern. China sollte frühzeitig einen digitalen Masterplan aufstellen und anstreben die Initiative zu ergreifen“. Und „Wir sollten Weltklasse-Spitzentechnologien anstreben und eine Gruppe von Big-Data-Unternehmen entwickeln“.
Damit sind die nächsten Entwicklungsschritte im Rahmen der Symbiose Staat und Privatwirtschaft vorgegeben.
Tatsache ist, dass schon heute die Digitalisierung in China schneller voranschreitet als in der westlichen Welt. Dies gilt besonders für das tägliche Leben: Bezahlen mit dem Smartphone, online Versicherungen, Läden ohne Personal, selbstfahrende Supermärkte (Moby Mart) usw.
Wer heute in China unterwegs ist, stellt fest, dass Bargeld oder gar Kreditkarte kein gewöhnliches Zahlungsmittel mehr ist. Selbst bei Starbucks wird mit dem Smartphone bezahlt. Das Resultat ist, das etwa 43 % der In-Store-Einkäufe bargeldlos bezahlt werden. Und mobile Zahlungen sind in China elf Mal mehr als in den USA! Bereits in 2016 wurden in China etwa drei Viertel aller Online-Zahlungsvorgänge mit dem Smartphone abgewickelt. In 2017 gab es laut dem Marktforschungsunternehmen iResearch mobile Bezahlvorgänge im Wert von von knapp 13 Billionen Euro. Hier ist ein Vergleich angebracht und dieser ist kein Rechenfehler: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt betrug in 2017 laut statista.com 3,26 Billionen Euro.
Unsere Mitarbeiter schleppen nicht mehr ihre Lebensmitteleinkäufe, sondern sie werden online bestellt und nach Hause geliefert. Auch diese Veränderungen spiegeln sich in den Zahlen wider: Chinas Anteil an weltweiten E-Commerce-Transaktionen ist 42 %.
Nun hält auch die biometrischen Gesichtserkennung Einzug im täglichen Leben. Zunehmend wird sie Teil des Systems beim Einkauf im Supermarkt oder im Convenience Store oder am Geldautomaten. Bei der Grenzabfertigung und in Unternehmen wird sie als Kontroll- und Sicherheitsinstrument eingesetzt. Ein führender Anbieter dieser Technologie (Software and Algorithmen) ist Yitu Technologies in Shanghai. Ihre Dragonfly Platform hat bereits 1.8 Milliarden Personenfotos gespeichert. Diese nationale Datenbank enthält auch die Photoshoots bei Grenzüberschreitungen – auch die der Ausländer. Big brother is watching you. Aber diese Überwachung hat auch positive Resultate. In den ersten drei Monaten Einsatz der Gesichtserkennung bei der Shanghai Metro wurden über 500 Gesetzesbrecher erkannt und der Polizei übergeben.
Wesentliche Entwicklungen, die unser Geschäft beeinflussen werden. Wie und wann ist die Frage.
Die Entwicklungen im privaten Bereich sind spannend und sie haben auch teilweise Einfluss auf unser Geschäft. Direkt betreffen uns die Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Strategieprojekt China 2025, also die “vierte industrielle Revolution”. Sie soll mit Hilfe von Robotik, künstlicher Intelligenz, Blockchain und Big Data realisiert werden. Und da hat China gute Karten. Bei KI ist China Vorreiter, weil der Mensch in China offen ist für neue Technologien und weil die Regierung die Entwicklung tatkräftig unterstützt. Hinzu kommt, dass ehemalige Auslandsstudenten technische und wissenschaftliche Fähigkeiten zurückgebracht haben, die jetzt gut einsetzbar sind. Ein Beispiel ist Zhu Long, Mitgründer von Yitu Technologies: Er lebte für 10 Jahre in den USA; Studium und Doktorgrad in Statistik an der University of California in Los Angeles und später Postdoktorand am Massachusetts Institute of Technology. Und, China ist ein sehr bevölkerungsreiches Land und Menschen bedeutet Daten. Diese schier große Datenmenge ist ideal für die Big Data Analyse.
Laut einer PWC Studie vom Juni 2017 könnte die Realisierung von China 2025 die Wirtschaftsleistung des Landes bis 2030 um 26 % anheben.
Auch beim Projekt China 2025 lenkt die Regierung die Entwicklungen. Dies ist nicht immer offensichtlich, aber spürbar.
Bemerkenswert und beeindruckend ist das die in diesem Kapitel dargestellte Symbiose viele Gewinner hat: neue Geschäftsmodelle gedeihen, positive Strukturveränderungen, Reichtum für die Entrepreneure, Wirtschaftswachstum Wohlstandsmehrung (auch in den armen ländlichen Gegenden). Und dies alles unter der Obhut des Staates. Das Resultat ist zusätzlich die Stärkung der KP und ein wachsendes Selbstbewusstsein im Land.
Der Staatskapitalismus a‘ la China macht es möglich.